22.01.2016

Kapitel 9 - Die erste Chatanalyse

Okay, Sie haben jetzt schon einige Basics rund um das Trading gelernt. Jetzt heißt es das Gelernte in einen Kontext zu bringen und auch anzuwenden.

Wir werden in Kürze eine komplette Chartanalyse durchführen. Dabei werden wir den Trendverlauf des Tagescharts für unser Trading nutzen. Als übergeordnete Zeiteinheit werden wir schauen, ob der übergeordnete Trend dazu passt. Für den Einstieg werden wir den Stundenchart oder 4-Stundenchart nutzen.



Warum diese Entscheidung für die Wahl der Zeiteinheiten? Ich weiß, Sie wollen wahrscheinlich die Zeiteinheiten so klein wie möglich wählen. Denn je schneller wir mit dem Trade durch sind, desto schneller können wir abkassieren, nicht wahr? Weit gefehlt! Wenn Sie Ihren Anfang auf den 15Min-Charts oder kleiner machen, bin ich mir ziemlich sicher, dass Sie Ihren Kontostand ziemlich schnell nach unten korrigieren werden. Lassen Sie sich bitte nicht von schnellen Geldgewinnen blenden. Sie legen sich beim Trading mit den besten Tradern der Welt an! Bitte seien Sie sich dessen jedes Mal bewusst. Sie treten an gegen Institutionen, gegen die besten Analysten, Mathematiker, Börsenexperten usw. Trading ist ein anspruchsvolles Business. Es ist kein Spiel, was Sie mit Ihren Freunden zum Spaß an einem ruhigen Freitagabend spielen. Und vor allem kein Glücksspiel! Sollte es zumindest nicht sein, wenn Sie in Zukunft damit Erträge erwirtschaften wollen. Daher seien Sie auf der Hut. Jeden Tag warten viele andere Trader darauf Ihnen die Last Ihres Geldes abzunehmen.


Kurzfristige Zeiteinheiten erzeugen darüber hinaus unnötigen Stress, den Sie am Anfang vermeiden sollten. Besonders in Ihrer Anfangszeit müssen Sie erst lernen, das Trading emotionslos zu betreiben. Wenn Sie es nicht schaffen, im Zusammenhang mit Geldgeschäften emotionslos zu agieren, werden Sie es schwer haben, positive Ergebnisse zu erzielen. Beim Börsenhandel gibt es ein Sprichwort: Begrenzen Sie Verluste und lassen Sie Gewinne laufen. Ohne eine angelernte Emotionslosigkeit in Bezug auf Geld, wird es Ihnen sehr schwer fallen, Gewinne laufen zu lassen. Ebenfalls könnte es darauf hinauslaufen, dass Sie im Zusammenhang mit Verlusten in eine Art "Verlustspirale" geraten. Diese Verlustspirale ist ähnlich dem Verhalten eines Automatenspielers. Das ist psychologisch begründet. Ich will Sie damit jedoch jetzt noch nicht langweilen :) Mit diesem Thema werden wir uns noch ausführlich in einem separaten Kapitel beschäftigen, wenn es um das Thema "Tradingpsychologie" geht.


Lassen Sie uns beginnen!


Für unser Beispiel werden wir den heutigen DAX-Chart betrachten. Dabei werden wir uns den Chart ohne jegliche Indikatoren anschauen. Wir schenken Indikatoren zu viel Aufmerksamkeit und schieben im Falle eines Fehltrades die Schuld dem Indikator in die Schuhe. Und wenn Indikator A seinen Zweck nicht erfüllt, nehmen wir Indikator B. Oder doch lieber Indikator C? In der Regel basieren Indikatoren auf mathematischen Algorithmen. Sie können an mancher Stelle auch ganz hilfreich sein. Jedoch steht hinter jeder Order die Entscheidung eines Traders. Verlassen wir uns daher auf das, was wir können und lassen Sie uns lernen eigene Analysen zu erstellen.


Werfen wir zuerst einen Blick auf den Tageschart:



Tatsächlich befinden wir uns gerade an einer sehr interessanten Stelle. Seit April 2015 sehen wir eine kontinuierliche Abwärtsbewegung. Zwar hat der DAX versucht von Oktober bis Dezember 2015 noch einmal Schwung zu holen, ist damit aber gescheitert. Die bisherige Richtung wurde fortgesetzt und augenscheinlich geht es aktuell bergab. Wir sehen aber auch, dass der Kurs an ähnlicher Stelle im letzten Jahr bereits wieder die Kurve gekriegt hat und gestiegen ist. Bevor wir anfangen uns den Tageschart intensiver anzuschauen lassen Sie uns kurz einen Blick auf den Wochenchart werfen:



Hier sehen wir es nun ganz deutlich. Aus der bisherigen kontinuierlichen Aufwärtsbewegung scheint sich ein klar sichtbarer Abwärtstrend zu etablieren. Auch hier sehen wir, dass wir uns 2014 bereits einige Zeit in diesem Kursbereich aufgehalten haben. Ich empfehle Ihnen solche Bereiche in den Charts zu markieren, damit Ihnen beim nächsten Durchzappen der Charts dieses Szenario nicht entgeht (aus welchen Gründen auch immer). Darüber hinaus können Sie auch die letzten Hochpunkte markieren, da dort vermutlich auch viele Stops oder neue Orders liegen.

Wenn Sie die Bereiche markieren, könnte das in etwa so aussehen:



Der Kurs befindet sich gerade also direkt in der Mitte unserer eingezeichneten Linien. Die nächste markante Unterstützungslinie sehen wir im Bereich von 9000 Punkten. Bis dahin haben wir also noch (stand heute) ca. 483 Punkte.

Klicken Sie nun wieder in den Tageschart. Die Linien können Sie zur besseren Visualisierung eingeblendet lassen. Zeichnen Sie nun auch im Tageschart markante Bereiche ein. Sie können die gleichen Farben benutzen, können aber auch zur besseren Unterscheidbarkeit eine andere Farbe verwenden.

Das könnte dann in etwa so aussehen:


Hier sehen wir etwas sehr interessantes, was unsere Tradeentscheidung bereits beeinflussen könnte. Wir befinden uns kurz vor der nächsten Unterstützungszone im Bereich von ca. 9330 Punkten. Wenn Sie sich die durchschnittliche Tagesbewegung des DAX anschauen, sehen Sie, dass uns bereits in den nächsten Tagen sowohl eine Trendwende, als auch ein Abrutschen in die nächsten Unterstützungsbereiche bevorstehen könnte.

Was also könnten Sie tun? Schließlich wollen wir doch handeln?

Sie haben hier mehrere Möglichkeiten. Jedoch beinhalten so ziemlich alle den Status des Wartens. Entweder warten wir auf den Durchbruch durch unsere pink eingezeichnete Linie oder alternativ auf eine Gegenbewegung und damit steigende Kurse nach einem erneuten Abprall an der Unterstützungslinie. Sie können Ihren zukünftigen Trade dennoch bereits jetzt planen.

Dazu wechseln wir jetzt auf den Stundenchart. Ich habe bereits zwei mögliche Kursverläufe eingezeichnet:



Aktuell sehen wir eine unklare Situation. Erst im weiteren Kursverlauf wird es uns möglich sein, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Sie könnten allerdings eine Entry-Order für den u.U. eintretenden Short-Trade erstellen. Diese Order könnten Sie an die grüne Linie legen, sodass sie nur ausgeführt wird, wenn der Kurs den letzten Tiefpunkt unterschreitet. Bei einer Long-Order müssen Sie sich gedulden, bis uns der Kurs weitere Hinweise auf einen möglichen Verlauf aufzeigt. Der in grün gezeichnete Einstieg dient nur als Orientierung. Auch wenn an dieser Stelle ein dem Tageschart untergeordneter Aufwärtstrend entstehen würde, wäre es nicht falsch einen weiteren Tiefpunkt abzuwarten und den Einstieg erst in Richtung eines zweiten entstehenden Hochpunkts zu suchen.

Diese Entscheidung hängt davon ab, was für ein Risiko Sie bereit sind einzugehen. Natürlich ist der Gewinn höher, je früher Sie einsteigen. Dennoch sollten Sie unnötige Verluste vermeiden und Ihr Tradingkapital schützen. Wenn Sie sich also unsicher sind, warten Sie ruhig eine weitere Bestätigung ab.

Haben Sie sich dazu entschieden die Short-Order zu setzen? Wenn ja, sollten wir einen Stoploss setzen und schauen, ob das Risikomanagement passt. Auf Positionsgrößen gehe ich in diesem Abschnitt nicht mehr ein. Die Risiken kennen Sie bereits, daher gehe ich davon aus, dass Sie eine Ihrem Risiko entsprechende Positionsgröße gewählt haben.

Wenn es um den passenden Stop geht, wird es erneut interessant. Ausgehend von der gelben Linie, die im obigen Beispiel zur roten Linie wird, wäre Ihr Stop ungefähr an der Stelle, an der sich der Kurs derzeit befindet. Damit hätten Sie einen Abstand zum Einstieg von ca. 240 Punkten. Jetzt sollten Sie schauen, ob der Trade genügend Potential hat, um das entsprechend notwendige durchschnittliche Risiko zu erreichen. Bis zur nächsten Unterstützungszone liegt eine mögliche Gewinnstrecke von ca. 250 Punkten vor Ihnen. Ich persönlich verzichte in solchen Situationen vorerst darauf davon auszugehen, dass die nächste Unterstützungszone ebenfalls in einem Rutsch durchbrochen wird. Aus diesem Grund beziehe ich nur die Bereiche in die Erwartung mit ein, die meines Erachtens mit hoher Wahrscheinlichkeit erreicht werden können.

Wenn Sie das Risikomanagement überprüft haben, können Sie die Order übermitteln.

Das gröbste haben Sie hinter sich gebracht. Nehmen wir nun an, der Trade läuft in die von uns spekulierte Richtung. Wann sollten Sie den Stop nachziehen? Sollten Sie den Stop überhaupt nachziehen?

An dieser Stelle werden Sie erneut von 5 verschiedenen Tradern 5 verschiedene Antworten erhalten. Versuchen wir dem Problem logisch auf den Grund zu gehen.

1) Wir haben die Situation ausführlich analysiert. Wir haben eventuelle Hürden im Chart gekennzeichnet und sind dem entsprechend auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet. Gibt es einen Grund den Stop zu verschieben? Eigentlich nicht. Er dient als Verlustbegrenzung und wird auch als solche genutzt. Wenn Sie Ihrer Analyse nicht vertrauen, sollten Sie diese erneut durchführen und über alle möglichen Entwicklungen nachdenken. Haben Sie während des Trades des öfteren Zeit einen Blick auf den Chart zu werfen, könnten Sie warten, bis sich der Kurs nahe der türkisen Linie befindet und anschließend Ihren Gewinn durch Nachziehen des Stopps in den Bereichen ~9050 abzusichern. So halten Sie sich weiterhin die Möglichkeit offen, dass der Kurs weiter fällt und Sie anstelle des "geplanten" Gewinns viel mehr ergattern können. Fehlt Ihnen allerdings tagsüber die Möglichkeit den Chartverlauf zu betrachten, könnten Sie alternativ einen Takeprofit in die Gewinnzone setzen (z.B. im Bereich 9030).

2) Nachziehen des Stopps an den jeweils nächsten Hochpunkt des Abwärtstrends auf dem Stundenchart. Das hat für Sie den Vorteil, dass Sie lediglich alle paar Stunden den Chart kontrollieren müssen. So minimieren Sie effektiv den möglichen Verlust. Hierbei besteht allerdings das Risiko, dass Sie unnötig ausgestoppt werden, wenn der Kurs nur etwas über den letzten Hochpunkt des Abwärtstrends hinausgeht und danach wieder den ursprünglichen Verlauf annimmt. Das wäre in der Tat ärgerlich.

3) Nachziehen des Stopps auf das letzte Tageshoch. Ja, auch diese Alternative ist denkbar. Dabei wird der Stop einmalig an jedem neuen Handelstag an das letzte Tageshoch nachgezogen. Wenn Sie sich den Verlauf des Tagescharts allerdings anschauen, werden Sie sehen, dass diese Wahl nicht unbedingt die beste ist. Es gab einige Bereiche im Chart, an denen der Kurs nur ein wenig über das letzte Tageshoch hinaus kletterte, um danach erneut zu fallen. Da das allerdings nicht immer so sein muss, wird diese Option hier trotzdem als sinnvolle Alternative besprochen.

4) In mancher Lektüre werden Sie die Mitnahme von Teilgewinnen finden. Dabei wird im Gewinnfall nur ein Teil der Position geschlossen. Damit sichern Sie sich einen Anteil des Gewinns und lassen den verbliebenen Teil weiterlaufen. Ich persönlich halte wenig davon. Denn letztlich zweifeln wir dadurch unsere Analyse an. Die Analyse ist vor dem Trade durchzuführen und dieser sollten Sie vertrauen. Es ist eine Sache, auf bestimmte Entwicklungen im Chartverlauf zu reagieren. Wenn Sie jedoch aus Sicherheitsgründen Ihre Positionsgröße anpassen müssen, halte ich das für einen Fehler, der bereits entweder in der Analyse oder im Risikomanagement gemacht wurde. Wenn ich einen Trade durchführe, sichere ich gern meine Gewinne durch das Setzen eines Stoploss. Allerdings hat die volle Position danach noch die Möglichkeit in meine favorisierte Richtung zu laufen. Sollte der Kurs dennoch entgegen meiner Analyse in die entgegen gesetzte Richtung laufen, dann ist das eben so. Kein Grund zur Panik. Fehltrades gehören zum Business. Jedenfalls brauche ich meine Gewinne nicht zu minimieren, wenn es weitergeht wie bisher.

Auf jeden Fall sollten Sie den Stop nicht zu nah an den aktuellen Kurs ziehen, sofern Sie noch nicht in der entsprechenden Gewinnzone sind. Und mit Gewinnzone ist jeweils der geplante und erwartete Gewinnbereich gemeint.

Denken Sie daran, dass es viele Trader gibt, die in die richtige Richtung handeln und dennoch auf Grund eines zu nahen oder schlichtweg falsch positionierten Stoploss Verluste generieren. Das lässt sich verhindern, wenn Sie sich die Gedanken zum Stoploss VOR Beginn des Trades machen. Panische Reaktionen während des Trades oder die Angst Verluste wieder abgeben zu müssen können die rationale Denkfähigkeit erheblich einschränken. Versuchen Sie deshalb alle Varianten durchzuspielen, bevor es ernst wird und bevor es um Kapital aus Ihrem Tradingkonto geht. Lernen Sie unbedingt emotionslos zu agiern. Das wird nur funktionieren, wenn Sie lernen Ihren Analysen zu vertrauen.

Wie bereits erwähnt dient die durchgeführte Analyse nur als eine Art Grundgerüst. Damit haben Sie die Möglichkeit sich einen Einblick zu verschaffen über die Gedanken, die Sie sich in Zukunft machen sollten, bevor Sie eine Order übermitteln. Sie können diese Analyse selbstverständlich ergänzen und weitere Merkmale hinzufügen.

Im nächsten Kapitel möchte ich Ihnen erklären, welche Informationen Sie für Ihr Trading nutzen sollten und auf welche Sie getrost verzichten können.